„Der Begriff Sozialunternehmer bereitet mir Bauchschmerzen“

Bedarfsgerechte und bezahlbare Mini-Kitas für die betriebliche Kinderbetreuung, vor allem für kleine und mittelständische Unternehmen – wie ist sira auf diese Idee gekommen? Gründer David Siekaczek erläutert, warum manche Behörden gegenüber Sozialunternehmern skeptisch sind und mit welchen Erfahrungen er nicht im Traum gerechnet hätte.


Die Lichtverhältnisse sind nicht optimal, meint David, als wir unsere Videofunktion für das Skype-Interview einschalten. Dafür sind seine Geschichten rund um das Werden eines Social Entrepreneurs umso erhellender. Seine Mitgründerin Christina Ramgraber und er hatten nach dem Studium in derselben Firma gearbeitet, einem japanischen IT-Konzern. Das war in Ordnung für den ersten Job, aber beide wussten, dass sie danach eine ganz andere Perspektive lockt: Selbständigkeit mit Sinn. Und dieser Sinn sollte in einer neuen Lösung für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie liegen: sira munich. Nach der Kündigung ihrer Jobs folgte der Sprung ins kalte, sozialunternehmerische Wasser – mit spannenden Lektionen voraus.

David, wie habt ihr eure Lösung der betrieblichen Mini-Kitas entwickelt?

D.S.: Nachdem wir uns einen Existenzgründer-Zuschuss gesichert hatten, sind wir fast ein Jahr lang tief in die Materie eingestiegen. Das war auch notwendig, denn die Vorgaben und Auflagen sind sehr komplex. Zudem hatten wir eine Reihe von Gesprächen mit privaten und öffentlichen Kita-Trägern. Wir wollten nicht selbst Träger für große Kitas werden, aber eine Lösung entwickeln, die den Fachkräftemangel in der Wirtschaft wirksam adressiert. Wenn junge Paare eine bessere Grundlage bekommen, sich für Kinder zu entscheiden, so unsere Idee, dann entsteht auch ein wichtiger Beitrag für den demografischen Wandel. Das treibt uns an. Eine der wichtigsten Erkenntnisse aus dieser Zeit war, dass wir uns mit den Mini-Kitas einen neuen Markt und eine neue Zielgruppe suchen werden. Aus unserer Sicht gab es noch keine praktikable, bezahlbare Lösung für die betriebliche Kinderbetreuung in kleinen und mittelständischen Unternehmen – und das obwohl dort fast zwei Drittel aller Mitarbeiter Angestellte sind.

Sich selbständig zu machen, ist bereits eine Herausforderung an sich. Gab es noch eine weitere Hürde, die speziell mit eurer Rolle als Social Entrepreneurs einherging?

Interessanterweise kannten wir zu Beginn den Begriff Social Entrepreneurship überhaupt nicht. Wir wollten ein Unternehmen mit gesellschaftlicher Wirkung und „Sinn“ gründen und davon leben können – nicht mehr und nicht weniger. Erst als wir in Kontakt mit der SEA (Social Entrepreneurship Akademie) kamen, haben wir erfahren, dass wir eigentlich Social Entrepreneurs sind. Der deutsche Begriff „Sozialunternehmer“ bereitet mir übrigens Bauchschmerzen. In der Wahrnehmung vieler sind damit Wohlfahrtsorganisationen oder rein ehrenamtliche Arbeit verbunden. Uns war es aber wichtig, von Anfang an ein nachhaltiges, sich selbst tragendes Geschäftsmodell zu entwickeln, das spendenunabhängig ist. Das ist für viele Menschen neu. Wenn wir auf bestimmte Veranstaltungen gehen, können wir sprichwörtlich die Uhr danach stellen, dass uns ein Teilnehmer fragt: „Darf man denn damit überhaupt Geld verdienen?“ Die Begriffe Unternehmertum und Wohlfahrt werden oft geistig voneinander entkoppelt. Dass beides, soziale Zielsetzung und unternehmerisches Handeln miteinander funktioniert, verstehen nur sehr wenige.

An welchem Punkt Eurer Aufbauarbeit bekamt ihr noch mehr Gegenwind als erwartet?

Wir hatten sicher nicht mit so viel Widerstand auf Seiten der Behörden gerechnet. Dass beispielsweise viele Jugendämter gegenüber neuen Konzepten der Kinderbetreuung nicht sonderlich aufgeschlossen sind, war eine echte Überraschung. Das ist zwar nicht die offizielle Leitlinie, aber auf der lokalen Sachbearbeiter-Ebene haben wir häufiger Bedenken zu spüren bekommen. In zwei Fällen wurde uns sogar unmissverständlich gesagt, dass man es schlecht fände, wenn sich private Unternehmen für die Kinderbetreuung engagierten. Dahingehend hatten wir eine ganz andere Erwartungshaltung, wenn man den Krippenplatz-Mangel in vielen Städten und Regionen bedenkt.

Angesichts knapper staatlicher Budgets und der immensen Nachfrage der Familien nach Kinderbetreuungsplätzen müsste privates Engagement doch eigentlich sehr willkommen sein.

Das dachten wir auch, aber es gibt Konkurrenzgedanken, zum Beispiel um Kita-Fachkräfte. Teilweise sind wir auch auf ideologische Vorbehalte in Bezug auf die klassische Rollenverteilung gestoßen. Ist frau eine Rabenmutter, wenn sie ihr Kind zur Kita bringt? Oder umgekehrt: Sind Frauen, die ihre Kinder zuhause erziehen, Heimchen am Herd? Christina und ich sind dahingehend völlig wertungsfrei. Wir konzentrieren uns darauf, Eltern ein attraktives Angebot zu unterbreiten und streichen solche Etiketten aus unserem Denken. Es ist die Entscheidung der Eltern, was für sie am besten ist. Umgekehrt behaupten wir auch nicht, dass private Kitas immer die ideale Lösung sein müssen. Das hängt auch wesentlich vom Kind ab: Manche Kinder fühlen sich in einer Kita pudelwohl, anderen fällt die Trennung von ihrer Mutter sehr schwer.

Gab es auch positive Überraschungen, Dinge, die leichter waren als ihr gedacht hättet?

Dadurch, dass Christina und ich zuvor im Sales-Bereich gearbeitet hatten, besaßen wir ein recht gutes Gespür für Machbarkeit. Natürlich steckt in jedem Gründer auch eine ordentliche Portion Optimismus, wenn er von seiner Idee begeistert ist. Aber wir sind von Anfang an mit realistischen Erwartungen angetreten. Uns war beispielsweise klar, dass unsere Projekte eine lange Laufzeit haben werden. Eine schöne Überraschung war auf jeden Fall, dass der Gründungsprozess von sira sehr viel unproblematischer ausfiel als erwartet.

Nach knapp 4 Jahren des Aufbaus geht ihr mit sira jetzt in die Skalierung. Was wünscht Ihr euch von euren künftigen Investoren – jenseits des bereitgestellten Kapitals?

Darüber haben wir uns in der Tat schon viele Gedanken gemacht. Ideal wäre es, wenn wir Investoren für unsere Vision begeistern könnten, die aus der Praxis kommen und uns mit Kontakten weiterhelfen können. Es gibt zwar viel Interesse von kleinen und mittelständischen Unternehmen an der betrieblichen Kinderbetreuung, aber eine Empfehlung öffnet die Türen sicher deutlich leichter.

Wenn du von „Investoren aus der Praxis“ sprichst, meinst du damit auch eine Unterstützung in strategischen und operativen Fragen?

Absolut, wir sind dankbar für jeden Impuls dieser Art. Wir suchen bewusst nach echten Sparringspartnern, nicht nur nach Wachstumskapital.

Spulen wir einmal gedanklich in die Zukunft: Was ist euer Traum für sira? Welche Wirkung für die Gesellschaft wollt ihr in zehn Jahren von heute erreicht haben?

Zuerst möchten wir bundesweit DER Ansprechpartner sein, wenn es um die betriebliche Kinderbetreuung für kleine und mittelständische Unternehmen geht. In zehn Jahren würden wir auch gerne europaweit aktiv sein und unser Angebot in solchen Ländern etabliert haben, in denen diese Art der Kinderbetreuung noch keine Selbstverständlichkeit ist. Was uns im Kern antreibt, ist die multidimensionale Wirkung, die durch unserer Lösung entsteht: Einerseits adressieren wir den demografischen Wandel und sorgen dafür, dass Beruf und Familie besser miteinander vereinbar werden – für die Mütter wie auch die Väter. Andererseits verbessert sich die Lage der Unternehmen in Bezug auf die benötigten Fachkräfte. Sie können wichtige Mitarbeiter langfristiger an sich binden und so einem Mangel entscheidend entgegenwirken. Und schließlich wird auch die Gefahr der Altersarmut der Eltern verringert. Das ist das Schöne an der betrieblichen Kinderbetreuung: Sie setzt unmittelbar an der Wurzel des Problems an.

Hier gibt es mehr zu Sira:

Website:  www.sira-munich.de

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