„Wir wollen mehr Beete als Kickertische in den Büros haben“

Kontakt zur Natur und Wertschätzung für Nahrungsmittel: diese Themen sind nicht nur für Kinder lebenswichtig. Christoph Schmitz, Gründer von Ackerdemia und AckerCompany,  über das Säen von Teamgeist, kritischen Gegenwind, hybride Finanzierungen und den Mehrwert einer professionellen Transaktionsunterstützung.

Titel: Christoph Schmitz / Foto: © Gordon Welters

Christoph, du hast dich schon in 2012 für das Thema Schulgärten und Nähe zur Lebensmittelproduktion stark gemacht. Hand aufs Herz: Wie verrückt musste man damals sein, um daraus ein Sozialunternehmen zu machen?

Ich erinnere mich noch sehr lebhaft daran, dass ich dachte: Es kann doch nicht sein, dass die Themen Lebensmittelproduktion und Nachhaltigkeit in den Schulen und Kitas im 21. Jahrhundert nur aus Büchern vermittelt werden. Die Kinder müssen doch zumindest einmal draußen in der Natur lernen und verstehen, dass Lebensmittel nicht im Supermarkt wachsen. In früheren Generationen war es normal, dass man einen Garten vor der Tür oder einen Bauernhof um die Ecke und damit engen Kontakt zur Natur hatte. Insofern wollten wir zeigen, wie eine sozialunternehmerische Lösung heute in der Praxis funktionieren kann. Aber es war schon krass, wie die ersten Reaktionen in der Zeit vor unserer Gründung ausfielen. Ich habe eigentlich nur Kopfschütteln bekommen. Einer der Höhepunkte war der Kommentar eines Rechtsanwalts, nach dem Motto: Ihr macht etwas mit Lebensmitteln, an den Schulen, mit Eltern und Kindern? Dann fehlen eigentlich nur noch Tiere und Ihr tut alles, was man aus juristischer Sicht nicht machen sollte. Damit war das Gespräch zu Ende.

Ihr musstet euch also mit viel Überzeugung und Herzblut am Gegenwind vorbeikämpfen.

Ja, aber meine Strategie war dann irgendwann, die Ohren auf Durchzug zu schalten und dort weiterzumachen, wo wir Unterstützung finden. Zum Beispiel hätte keiner außer unserem EXIST-Berater damals geglaubt, dass wir das Gründer-Stipendium bekommen würden. Als wir es dann hatten, öffneten sich plötzlich weitere Türen. Das ist auch mein persönlicher Rat an alle Gründer: Seid resistent gegen all die Kritiker und Nörgler, sonst bringt Ihr nie etwas Innovatives auf die Straße. Je verrückter die Idee, desto heftiger die Ablehnung. Und unsere Idee war offensichtlich so verrückt, dass wir bis heute keine ernstzunehmenden Nachahmer haben – was ich übrigens aus Wirkungssicht sehr bedauerlich finde.

Nicht jeder Sozialunternehmer möchte sich auf das Abenteuer Skalierung einlassen. War es für dich von Anfang an gesetzt, dass ihr eure Lösung deutschlandweit ausrollen würdet?

Absolut, sonst hätten wir die GemüseAckerdemie erst gar nicht gestartet. Zwei Dinge sind bei uns fest in der DNA verankert: Wirkung und Skalierung. Schon im ersten Pilotprojekt haben wir damals eine Bachelorarbeit vergeben, um die Wirkung zu analysieren. Ohne nachgewiesene Wirkung hätten wir nicht weitergemacht. Ein zweites mögliches Killer-Kriterium war die Skalierungsfähigkeit. Wenn wir festgestellt hätten, dass wir nur auf 10 Schulen skalieren können, weil wir in jeder Stunde anwesend sein müssen, wäre das nicht gegangen. Wir haben allerdings kein Digitalprodukt, bei unserem Modell ist die Skalierung schon aufwändiger.

„Zwei Dinge sind bei uns fest in der DNA verankert: Wirkung und Skalierung.“ Christoph Schmitz, AckerCompany

Apropos Modell: ihr entwickelt euch kontinuierlich weiter und habt vor einiger Zeit mit der AckerPause ein Office Gardening Konzept ins Leben gerufen. Wie sind eure Erfahrungen mit dem Gärtnern mit Erwachsenen? Habt ihr ähnlich intensive Aha-Momente erleben können wie mit Kindern?

Eines der ersten Projekte mit AckerPause war die Dachterrasse von Zalando zu bepflanzen. Einer der Mitarbeiter fragte mich, was wir im Winter mit dem Kohlrabi machen würden. Da wusste ich: Aha, der Wissenstand ist dann doch nicht so anders wie bei Kita-Kindern. Umgekehrt bedeutet das aber auch, dass wir beim Gärtnern mit Erwachsenen genauso viel positive Wirkung erzielen können. Die Offenheit dafür ist sehr groß, was durch Corona noch weiter verstärkt wird. Natürlich gibt es vorübergehende Einschränkungen, weshalb wir auch ein Home Office Gardening Konzept ins Programm aufgenommen haben. Doch ein solches Angebot von seinem Arbeitgeber zu bekommen, ist schon etwas ganz anderes als beispielsweise einen Yoga-Kurs oder den „old school“ Ernährungs-Workshop zu belegen. Bei uns gibt es coole Extras wie zum Beispiel die AckerPause-App, mit der interdisziplinäre Teams spielerisch zusammen lernen und Spaß haben können. Dass damit der Team-Geist und die sozialen Fähigkeiten gestärkt werden, ist bei AckerPause ein besonderer Effekt.

Systemveränderung steht bei euch ganz oben auf der Agenda. Worin seht ihr euren systemischen Beitrag zur Lösung der Nahrungsmittelverschwendung?

Wir stehen sehr stark dafür ein, Natur-Erfahrungsräume wieder neu zu erschaffen. Das ist die eigentliche Wurzel des Problems. Die sichtbaren Themen an der Oberfläche sind fehlende Nachhaltigkeit, ungesunde Ernährung und Nahrungsmittelverschwendung, wozu es auch viel Aufklärungsarbeit und Appelle gibt. Aber man kann Natur nicht durch eine Kampagne lernen. Wer nicht selbst erfahren hat, dass eine Möhre erst in 5 Monaten und nicht in 2 Tagen wächst, wird sie schnell wegwerfen, wenn sie krumm ist oder eine dunkle Stelle hat. Kontakt zur Natur und Wertschätzung von Gemüse machen den Unterschied. Das erfordert jedoch einen langen Atem und geschieht nicht in einer einzigen Legislaturperiode. Um nachhaltig etwas verändern zu können, muss man in Kinder- und Erwachsenenbildung investieren.

Ihr habt von Anfang an die Evaluierung eurer Wirkung sehr ernst genommen und mehrere Working Papers dazu veröffentlicht. Wie wichtig war dieser Aspekt für die erfolgreiche Ansprache von Investoren?

Dadurch dass wir dahingehend ein gutes Praxisbeispiel sind und schon einige Auszeichnungen bekommen haben, konnten interessierte Investoren immer schnell einen Haken hinter das Wirkungs-Kriterium setzen. Ihr Augenmerk lag dann viel mehr auf unserer Wirtschaftlichkeit. Die Investoren, mit denen wir bisher arbeiten, sind allesamt sehr Impact-orientiert und versuchen deshalb auch nicht, mit uns über einen Exit oder eine höhere Profitabilität des Geschäftsmodells zu diskutieren.

Eure erste Finanzierungsrunde fand 2015 für die gemeinnützige Ackerdemia e.V. in Form einer hybriden Kombination aus Nachrangdarlehen und Spende statt (siehe Grafik unten). Inwieweit hat euch diese Zusammenarbeit mit FASE auf die Folgefinanzierungen vorbereitet?

Wir waren damals der erste Verein, den FASE für eine solch innovative, hybride Finanzierung beraten hat. Das war für uns eine sehr spannende Erfahrung, denn sie hat ein wertvolles Fundament für unsere nächste Finanzierungsrunde gelegt. Ohne sie hätten wir wichtige Dinge wie etwa unseren Businessplan voranzutreiben oder praktische Erfahrungen mit einem professionellen Transaktionsprozess zu machen, nicht lernen können. Das ist ähnlich wie beim Gärtnern: Es ist die Praxis, die wirklich zählt.

„Die erste Finanzierungsrunde mit FASE war für uns eine sehr spannende Erfahrung, denn sie hat ein wertvolles Fundament für unsere nächste Finanzierungsrunde gelegt. Ohne sie hätten wir wichtige Dinge wie etwa unseren Businessplan voranzutreiben oder praktische Erfahrungen mit einem professionellen Transaktionsprozess zu machen, nicht lernen können.“

 

Was sind aus dieser Erfahrung heraus deine 3 wichtigsten Ratschläge an Sozialunternehmer auf Finanzierungssuche?

Mein erster und vielleicht wichtigster Ratschlag ist, sich die nötige Zeit für die Entwicklung des Produkts oder der Dienstleistung zu nehmen. Mit anderen Worten: Nicht zu früh an den Markt und die Öffentlichkeit damit gehen, denn das lenkt nur vom Eigentlichen ab. Wir hatten zum Glück in 2014 bei Ackerdemia ein ganzes Jahr lang Zeit, das Produkt sehr nahe an 6 Schulen zu entwickeln, bei jeder Stunde dabei zu sein und sie durch die Brille der Lehrer zu beobachten. Wir profitieren heute noch sehr von diesem Pilotjahr, denn da sind viele Pflöcke eingeschlagen worden, die noch heute die Basis unseres Konzepts bilden. Bei unserem neuen Konzept AckerPause waren wir dahingehend am Anfang etwas zu schnell unterwegs und mussten insofern noch einmal nachjustieren, um auch gute Antworten auf alle wichtigen operativen Fragen zu finden.  

Lektion 1 lautet also: Nehmt euch wirklich Zeit für einen soliden Proof of Concept.

Genau. Und diesem Rat folgt auch gleich der zweite: Fokus, Fokus, Fokus. Ich habe schon so viele soziale Startups gesehen, die sich am Ende mit zu vielen Ideen verzettelt haben. Bei uns war das Risiko auch vorhanden. Wir hätten zum Beispiel unser unternehmerisches Office Gardening Konzept gleich am Anfang mit umsetzen können. Aber wir wussten, dass wir beides parallel nicht sinnvoll auf die Straße bekommen würden. Angesichts knapper Ressourcen sollte man unbedingt in einer einzigen Idee aufgehen und alles andere erstmal beiseiteschieben.

Und dein dritter Rat?

Sich möglichst frühzeitig um eine gute Finanzierung zu kümmern, damit einem die Luft nicht ausgeht. Wir haben uns bereits mit dem Thema Anschluss-Finanzierung beschäftigt, als wir gerade das EXIST-Stipendium erhalten hatten.  Ich habe nicht viele gute Beratungen in meinem Leben bekommen, aber das Feedback von FASE und die Einblicke in die Investoren-Perspektive waren extrem wertvoll für mich. Ich würde sogar sagen, dass die Lerneffekte aus unserem allerersten Transaktionsprozess viel wichtiger waren als das Geld. Bei unserer jüngsten Finanzierungsrunde mit der AckerCompany waren wir dann schon sehr viel besser aufgestellt. Aber auch der Zugang zu passenden Investoren ist enorm wichtig: Impact Investoren, die in frühphasige Sozialunternehmen investieren, sind in Deutschland immer noch sehr rar gesät. Ein echter Mehrwert, wenn man hier mit dem FASE Team zusammenarbeiten kann.

Da wir gerade von frühphasigen Investments sprechen: ihr habt Euch mit AckerCompany für den European Social Innovation and Impact Fund (ESIIF) beworben. Was fasziniert dich als Sozialunternehmer an diesem innovativen Mezzanine-Fonds?

Ich finde es sehr spannend, dass die EU mit der EaSI-Garantie das Ökosystem für Sozialunternehmer verbessern will und wir die Finanzierung, die wir uns gesichert haben, durch den ESIIF 1:1 gematched bekommen können. Auch die Kombination von FASE als Fondsinitiatorin und avesco als Fondsmanager klingt für mich sehr professionell.

„Ich habe nicht viele gute Beratungen in meinem Leben bekommen, aber das Feedback von FASE und die Einblicke in die Investoren-Perspektive waren extrem wertvoll für mich. Ich würde sogar sagen, dass die Lerneffekte aus unserem allerersten Transaktionsprozess viel wichtiger waren als das Geld.“

Auf deiner sozialunternehmerischen Reise hast du bestimmt schon viele schöne Momente mit Kindern und Erwachsenen erlebt. Gibt es einen, der dir besonders intensiv in Erinnerung geblieben ist?

Ich weiß noch, dass ich an unserer ersten Ackerschule am Samstagmorgen mit 4 Jungs zum Acker gegangen bin. Als ich einen davon fragte, was er denn erwarten würde, meinte er „ist mir egal, ich bin Gamer, kein Bauer“. Später war er aber dann so begeistert, dass er im zweiten Jahr gleich noch einmal mitgemacht hat. Es war schön zu sehen, was bei ihm alles hängengeblieben ist, als ich ihn 5 Jahre später noch einmal interviewt habe.

Wenn wir unser Interview in 5 Jahren noch einmal führen würden, was würdest du gerne über AckerCompany sagen können?

Dass das Gemüsebeet im Büro so normal geworden ist wie der Kaktus oder die Zimmerpflanze. Wir wollen mehr Beete als Kicker-Tische in den Büros haben.

Hier gibt es noch mehr Bildung in Sachen Schulgärten, Office Gardening und Kontakt zur Natur:

Case Study zur ersten Finanzierungsrunde von Ackerdemia e.V.: Fallstudie 2015

Website AckerPause

Website Ackerdemia e.V.

Sozialunternehmer und neuierig, wie man sich fit für Impact Investoren macht?

Sprecht uns an, wenn Ihr einen Proof-of-Concept erreicht habt und professionelle Unterstützung für Eure kommende Finanzierungsrunde sucht.

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